Konsultation zur Datenmaut„Die Gefahr ist die Zersplitterung des Internets“

Wird die Europäische Union datenschwere Internetdienste wie YouTube oder Netflix dazu zwingen, sich am Gigabit-Ausbau in der EU zu beteiligen? Das Echo einer Konsultation zu diesem Vorschlag fällt negativ aus. Das ist ein Dämpfer für die Ideen von EU-Kommissar Thierry Breton.

Ein lächelnder Mann mit grauen Haaren
Thierry Breton – Alle Rechte vorbehalten EU-Kommission

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch die Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation [PDF] zur Zukunft des Telekommunikationssektors veröffentlicht. Mit der Umfrage wollte die Kommission ein angedachtes Gesetz zur Kostenbeteiligung von Tech-Konzernen am europäischen Gigabit-Ausbau vorbereiten. Eigentlich war der Schritt bereits für Ende Juni angekündigt, die Verzögerung könnte auch damit zusammenhängen, dass das Echo laut Zusammenfassung überwiegend negativ ausfällt.

Die Konsultation befasste sich mit zahlreichen Aspekten einer künftigen Infrastrukturregulierung in der EU. So spricht sich laut dem Dokument eine Mehrheit der Befragten dafür aus, den regulatorischen Rahmen zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Mit besonderer Spannung sind jedoch die Ergebnisse zur Idee einer Infrastrukturabgabe für Tech-Konzerne erwartet worden. Der Kommission zufolge betonte eine Mehrheit der Teilnehmenden die Schwierigkeiten dieses Ansatzes.

Vom Wunschzettel der Telkos

Hinter der Initiative von EU-Kommissar Thierry Breton steht der Wunsch, eine zukunftsfähige Netzinfrastruktur für Europa zu finanzieren und zugleich die europäische Digitalwirtschaft zu fördern. Denn viele Konzerne, die wie Google/YouTube oder Netflix besonders viel Traffic verursachen, stammen aus den USA. Für diese sogenannten Over-The-Top-Dienste schaffen europäische Netzanbieter mit ihrer Infrastruktur die Voraussetzung.

Schon lange wünschen sich einstige Staatskonzerne wie die Deutsche Telekom oder der französische Telko-Gigant Orange, die US-Konzerne hierfür zur Kasse zu bitten. „Fair Share“ nennt die EU-Kommission diese Idee. Kritiker:innen sprechen von einer Datenmaut.

Ihr entgegen steht laut Konsultation unter anderem das Grundprinzip der Netzneutralität. Dieses sieht vor, dass alle Datenpakete gleichbehandelt werden und Infrastrukturbetreiber nicht nach eigenem Gutdünken zwischen unterschiedlichen Inhalten diskriminieren dürfen. Laut Zusammenfassung betonten vor allem Bürger:innen, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler:innen diesen Aspekt.

Andere in der Konsultation genannte Gegenargumente betrafen zum Beispiel die Effektivität der Maßnahme und die Schwierigkeit, genau zu bemessen, welche Auswirkungen einzelne Dienste auf die Auslastung der Netzwerke haben.

Warnung vor Kostenexplosion für Nutzer:innen

„Aus dieser Konsultation ist klar abzulesen, wie vehement der Widerstand aus allen Ecken der Gesellschaft gegen die Pläne von Kommissar Breton ist“, fasst der Netzneutralitätsexperte Thomas Lohninger die Ergebnisse zusammen.

„Neben dem eindeutigen Urteil der Telekomregulierungsbehörden, dass dieser Vorschlag die Netzneutralität verletzt, warnen auch die Landesmedienanstalten vor einer Gefahr für die Medienvielfalt“, so der Geschäftsführer der NGO Epicenter Works weiter. Viele öffentlich-rechtliche und private Medienhäuser hätten sich dieser Kritik angeschlossen.

Zudem hätten Konsumentenschutzverbände vor einer Kostenexplosion bei Internetdiensten gewarnt, da Dienste wie Netflix oder Disney+ die erhöhten Kosten vermutlich an die Kunden weitergeben würden.

„Die Gefahr von Netzgebühren ist die Zersplitterung des Internets“, so Lohninger weiter, weil nur noch jene Dienste gut verfügbar sein könnten, die mit den lokalen Internetanbietern bezahlte Abkommen abschließen. „In Südkorea sehen wir derzeit, wie trotz einer hundertprozentigen Glasfaserabdeckung die Internetqualität immer schlechter wird, so dass die lokale Spieleszene sich schon lautstark beschwert.“

Breton: „Brauchen Digital Networks Acts“

Unklar ist derzeit noch, ob Thierry Breton die Dinge nach der Konsultation auch so sieht. Der EU-Binnenmarktkommissar kommentierte die Veröffentlichung der Konsultationsergebnisse in einem Post auf LinkedIn. Darin kündigt er zwar eine neue Verordnung an, erwähnt die Idee der Infrastrukturabgabe aber nicht mehr explizit.

Der Digital Networks Act (DNA) müsse eine „mutige“ und „bahnbrechende“ neue Verordnung werden, schreibt der EU-Kommissar, der an großen Worten in Sozialen Medien nicht spart. Der Digital Networks Act müsse die DNA der europäischen Telekommunikationsregulierung verändern und einen echten europäischen Binnenmarkt schaffen.

Konkret soll die Verordnung den europäischen Telko-Anbietern grenzüberschreitende Geschäfte ermöglichen und den regulatorischen Rahmen so anpassen, dass die Infrastrukturkosten gesenkt werden. Außerdem müsse Europa mehr privates Kapital für den Breitbandausbau anziehen und die Netzwerke in Zeiten zunehmender geopolitischer Spannung strategisch sichern.

Das allerdings brauche, so Breton auf LinkedIn weiter, neben „Weitsicht“ und „Mut“ auch Zeit. Die aber läuft der EU-Kommission davon. Im kommenden Jahr wählt die EU ein neues Parlament und auch die Kommission wird neu gebildet. Dass Breton vorher noch einen konkreten Vorschlag für die neue Verordnung vorlegt, gilt als unwahrscheinlich.

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1 Ergänzungen

  1. Es steht außer Frage, daß die Hyperscaler und Streaming-Anbieter sowie deren Nutzer für den größten Teil der datenmenge verantwortlich sind, welche über das Internet transportiert werden. Bereits jetzt werden in Deutschland sehr hohe Preise für breitbandige Internetanschlüsse aufgerufen. Daß die Politik und die Provider den Netzausbau verschlafen haben, kann nicht den o. g. Parteien angelastet werden. Hätte man den Blödsinn mit VDSL von Anfang sein lassen und konsequent auf Glasfaser gesetzt, wäre das Problem um Größenordnungen geringer. Wichtig ist aber eine Trennung von Übertragungsnetz und Provider. Nur so haben die Nutzer Wahlfreiheit und nur so herrscht Wettbewerb, der sowohl technik als auch Wirtschaftlichkeit auf allen Seiten befördert.
    Wann endlich kommt eine regulierung, welche Glasfaseranschlüssen vollumfänglichen Dual-Stack, d. h. IPv4 und IPv6 öffentliche Adressen inklusive, vorschreibt. Was soll ein GF Anschluß mit Provider-NAT? Das Internet ist eine Peer-to-Peer Netzwerk und die Provider versuchen den Charakter zusammen mit Anbietern wie Google u. ä. in ein supplier-consumer Netzwerk zu verändern. Es ist auch an der Zeit für GF Anschlüsse grundsätzlich symmetrische Datenraten vorzuschreiben, denn die Bandbreite des Übertragungsmediums gibt das her. Die Protagonisten der Netzlobby wollen aber nicht, daß ihre Kunden selbst Server ins Netz stellen, weil dann ihre Clouddienst darunter leiden werden. Das Internet ist kaputt und die beabsichtigte Aufhebung der Privatsphäre und die Spionage nach Stasi Manier macht es nahezu unbrauchbar. Stellt sich somit die Frage, ob das Internet ggf. einen Nachfolger braucht, der privacy implementiert, die nicht durch antidemokratische und faschistoide Tendenzen der Regierungen aufgeweicht werden kann.

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